ANDREA KUHN
Portrait Andrea Kuhn Mit
dem Skywing auf Grasskis
und auf Schnee und Eis Fliegen
zu dritt - für Andrea selbstverständlich!
PORTRAIT ANDREA KUHN
GLEITSCHIRM 4/95 Portrait Andrea Kuhn
TEXT: NOTKER LEDERGERBER
FOTOS: LEDERGERBER/WUERGLER/ARCHIV KUHN
Die jüngeren Gleitschirm-Generationen kennen ihn zum Teil kaum mehr,
aber schon lange vor den Boom-Jahren war der Engadiner Andrea Kuhn
ein Pionier sondergleichen. In Sils im Engadin führt er heute eine
kleine Flugschule, absolviert Taxi-Flüge, zeigt als Skywing-Segler
tollkühne Kunststücke und träumt von vergangenen Zeiten.
Zeiten, in denen er unsere Sportart wesentlich mitgeprägt hat, Zeiten
aber auch, in denen er trotz der Pionierarbeit materiell schlecht
davon kam. «Immerhin habe ich aber über 1000 Leute ausgebildet,
viele davon mit der Skywing-Stange», bemerkt Andrea Kuhn. Und
dass bei ihm einiges los war, stellt ein Lager mit einigen dutzend
bunten Säcken eindrücklich unter Beweis. Vieles sind zwar alte Geräte,
aber zum Segeln eignen sich diese «Oldtimer» noch bestens!
PIONIER OHNE ERBE
Andrea Kuhn erging es wie vielen anderen Pionieren. Er gab der Entwicklung
im Gleitschirm-Sport viele Impulse, konnte aber die tolle Idee vom
freien Fliegen nicht in Geld ummünzen. Er lebt heute meist zuhause
in der kleinen Familien-Pension seines Bruders - an idyllischer Lage
zwischen Silsersee und den Bergen, ist äußerst genügsam und verdient
sich seinen bescheidenen Lebensunterhalt mit Taxi-Flügen, Schulung
und Verkauf. Das grosse Geld machten aber wie so oft die anderen.
Die stillen Pioniere hingegen sind im Hintergrund und sie bleiben
es auch meistens...
DIE RETROSPEKTIVE
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre unternahmen die Amerikaner mit Fallschirmen
erste Versuche, ihre Fluggeräte zu FUSS zu starten und steile Berge
hinunterzugleiten. Parallel dazu machten zwei andere Pioniere beachtliche
Fortschritte: Dr. Dieter Strasilla und Andrea Kuhn. Seit 1961 entwickelte
der Chemiker Dr. Strasilla Rundkappenschirme, bald bekam er über
seinen Bruder Rundkappen-Schirme der NASA, welche er dann weiterentwickelte.
Er ließ sich auf Skiern die Berge hinauf schleppen. Anfang der 70er
Jahre wurde die runde von der rechteckigen Form verdrängt. Die steuerbaren
Skywing-Segel eigneten sich nicht nur als Schlepphilfe in den Bergen,
sondern wurden auch dazu verwendet, auf Wiesen und Seen mit dem Wind
zu spielen - und schließlich konnte man damit fliegen!
TV Zitat aus Gleitschirm 4/95
Ein deutscher TV-Sender berichtete über diese neue Sportart
wie folgt: «Wir zeigen ihnen heute eine Sportart, die noch nie
jemand im Fernsehen gesehen hat. Und wie man mit dem Sportgerät umgeht,
das zeigt Ihnen der Erfinder Dr. Dieter Strasilla.» Als Dr.
Strasilla dann schließlich zu Wort kam, zeigte er auf den Packsack
und sagte: «Da drin ist der Skywing, das ist ein Flügel
mit dem man skifahren, segeln und fliegen kann.»
Er sorgte mit seinen Skywing Segeln ganz schön für
Aufsehen, auch bei Andrea Kuhn. Als sich Dr. Strasilla mit Skiern
über den zugefrorenen Silsersee schleppen ließ, da fing Andrea
Kuhn Feuer. Er rannte Dr. Strasilla hinterher und konnte es kaum mehr
erwarten, selbst als Skywing-Segler über den zugefrorenen See
zu gleiten. Andrea Kuhn wurde der erste «Jünger»
von Dr. Strasilla. Die beiden waren ein gutes Team, harmonierten
prima und steckten sich stets neue Ziele. Im Winter 1972/73 absolvierte
Andrea Kuhn in Bodennähe die ersten Flüge an der Leine und frei
schwebend in Hangnähe. Den ersten Höhenflug hatte er im Jahre 1974
vor Presse und Publikum (siehe Gedicht!)
Dr. Strasilla ist im selben Jahr in gut einer Stunde den Aletschgletscher
zum Jungfraujoch hoch gesegelt. Und tags darauf flog er bei anderen
Windverhältnissen runter nach Lauterbrunnen! Man stelle sich vor:
1974 ein Flug vom Jungfraujoch nach Lauterbrunnen - vor über
20 Jahren ein Flug mit mehr als 3000 Metern Höhendifferenz!
Zu einem eigentlichen Boom kam es aber noch nicht, obwohl schon stundenlang
an der Leine und frei in Hangnähe gesegelt werden konnte. «Das
Skywing-Segeln war eine Sportart im Einklang mit der Natur. Wir segelten
mit den Skiern die verschneiten Berge hoch und flogen anschließend
wieder runter ins Tal», erinnert sich Andrea Kuhn. Die Illustrierten
aus nah und fern berichteten über die neue Sportart und in zahlreichen
Fernseh-Beiträgen war das Skywing-Segeln ein Thema.
ERSTE ANFRAGE AN DEN SHV
Das Element Luft hat es Andrea Kuhn angetan. Denn nebst dem Skywing-
Segeln war der Windsurf-Sport seine zweite große Liebe. Und so war
er denn auch oft mit dem Skywing-Segel auf dem See anzutreffen, ließ
sich auf Wasserskiern oder auf dem Surfboard umherziehen. Schon damals
sah es spielerisch leicht aus. doch dahinter steckt viel Übung und
ein superfeines Gefühl für das Element Luft. Die Skywing-Segler
wurden flügge. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) sagte
damals, dass diese Art des Fliegens eigentlich in einem eigenen Verband
organisiert sein müsste, andererseits wolle man möglichst wenige
Ansprechpartner haben. 1981 kontaktierte Andrea Kuhn somit den Schweizerischen
Hängegleiter-Verband ein erstes Mal, doch es vergingen einige Jahre,
bis der damalige SHV-Zentralsekretär Thomas Bosshard sagte, dass
es sich bei dieser neuen Sportart bloß um eine Schickimicki-Sportart
handle, die bald wieder im Keller verschwinden werde... Schließlich
kümmerte sich dann doch der SHV um das Gleitschirmfliegen. Und Andrea
Kuhn absolvierte im ersten Fluglehrer-Lehrgang 1986 die Ausbildung
zum Fluglehrer Bazl/SHV. Wenig später befand sich unter seinen Schülern
ein gewisser Hans Bollinger, der sich beim dritten Höhenflug zwar
einen offenen Beinbruch (gemäß Andrea Kuhn einen selbstverschuldeten)
zuzog, 1993 aber als Hausi Bollinger Weltmeister wurde - wie uns die
Geschichte lehrte...
EIN GENIALER FLIEGER
Bis im letzten Jahr war Andrea Kuhn Mitglied der Schweizer Gleitschirm-Liga.
Zwar spielte er als Wettkampf-Pilot schon seit längerer Zeit nur
noch die zweite Geige, aber mit der Schirmbeherrschung sorgte er immer
wieder für Aufsehen. Kaum ein anderer spielt mit seinem Schirm
so leicht und genial wie Andrea Kuhn. Der Schirm ist für ihn
nicht einfach bloß ein Fluggerät, sondern ein Spielzeug. Wenn er
mit dem Schirm verbunden ist, dann macht der Schirm nicht mit Andrea
Kuhn, was er will, sondern Andrea Kuhn zwingt den Schirm auf scheinbar
einfachste Art und Weise das zu machen, was er ihm über die Bremsleinen
und die Traggurten befiehlt! «Spiele im Wind dienen der Sicherheit
haben leider viel zu viele Leute noch nicht oder zu spät kapiert.
Zu spät, weil damit mancher Unfall hätte verhindert wer den können.
Im Wind kann man Einklapper und Stalls auf dem Boden üben, und Du
lernst Deinen Schirm beherrschen, was sich dann bei schwierigen Start-,
Flug- und Landebedingungen positiv auswirkt», sagt Andrea Kuhn
und hofft, dass die Piloten erstmal wieder auf dem Boden bleiben werden
... Es spiele keine Rolle, ob sie dies mit einem alten oder ihrem
neuesten Gerät tun. Hauptsache, sie tun es! Es ist doch schade, wenn
die alten Schirme auf dem Estrich sind und sie keiner mehr braucht.
Spielt damit im Wind, geht Windsegeln! Spielen bringt Euch weiter,
denn Fliegen beginnt schon am Boden und endet auch erst wieder dort»,
fährt er fort. Und was die Schweizer Liga anbelangt, hat er ein klares
Ziel: «Ich möchte wieder in die Liga, und dann werde ich
bald wieder die erste Geige spielen!»
TRÄUMER ODER REALIST?
Oft hat man das Gefühl, dass Andrea Kuhn mit seinen Gedanken
fliegt, dass er nicht mit beiden Beinen auf dem Boden steht. («Oh
doch, ich bin ein stahlharter Realist!») Andrea Kuhn ist ein
herzensguter Mensch, eine schillernde Persönlichkeit zugleich.
Aber so genial er ist, so weit scheint er mit seinen Gedanken weg
zu sein. Immer in der Luft, in der dritten Dimension. Da, wo der Traum
vom Fliegen in Erfüllung ging. Und dort wird Andrea Kuhn wohl bleiben!
Nicht nur in der Luft fühlt sich Andrea Kuhn wohl, sondern auch
auf dem zugefrorenen Silsersee
4/95 GLEITSCHIRM
STECKBRIEF
Name: |
Andrea
Kuhn |
1974: DER ERSTE FLUG!
Die ganze Familie war versammelt, als Andrea Kuhn im Jahre 1974 (!)
den ersten Höhenflug absolvierte. Seine heute 79jährige Mutter
Adelina hielt das Ereignis mit folgendem Gedicht fest:
Crap da la Mandra, sehr hoch über Plaz
Hier ist's geschehn - Du Andrea-Furbaz* -
Erst-Überfliegung von Kirche und Fluss
Schrecken für Mamma, die zuschauen muss!
Ungläubig Staunen von Gästen und Crew
Caffee Marmotta - ein jeder schaut zu
Jetzt kommt die Landung, nicht weit von der Brueck'
Alles rennt hin - und der Kuhn strahlt vor Glück!
Zehn Jahre später der Kuhn ist Pilot
«Taxi» der Flug vom Corvatsch ist Dein Brot
Reisen zum Nordpol, Alaska, Tibet
Gott sei gedankt, dass kein Wind Dich verweht!
• Furbaz heißt auf rätoromanisch «Lausbube»
Autorin: Mutter Adelina Kuhn
Andrea, Irrtum der Schöpfung,
SWISS GLIDER, März 1994, Jubiläumsnummer
Andrea, ein Irrtum der Schöpfung?!«Ein Irrtum der Schöpfung.»
So der Swissair-Pilot und SHV- Schulinspektor Markus Rizzi. «Eigentlich
hätte er als Vogel auf die Welt kommen sollen. Aus unverständlichen
Gründen wurde aber ein Mensch daraus.» ANDREA KUHN, der Gleitschirmpionier
aus Sils Baselgia im Oberengadin beherrscht sein Metier. Im Schnitt
macht er jeden Tag zwei Flüge, und dies seit 20 Jahren. 1989 wurde
er Dritter an der SM am Saleve. Seine fliegerischen Höhepunkte sind
ein Tandemflug vom Mount Mc Kinley und ein Dreier-Flug vom Cho Oyo
in Nepal. Andreas Vater führte ein Baugeschäft; Klein Andrea
bastelte gerne mit Sagex, spielte damit in der Luft. Dafür gibt
es keinen geeigneteren Ort als Sils mit seinem Malojawind. Dieser
Wind hatte es schon seinem Großvater angetan, der sich davon schleppen
ließ - mit Regenschirmen auf Schlittschuhen oder mit Heublachen auf
Skiern. Der Wind hier oben inspiriert. Fliegen war schon immer der Traum
von Andrea. Fragte man den Primarschüler Andrea, was er mal werden
möchte, antwortete er selbstbewusst: «Raketenpilot»!
Das wurde er nicht. Schließlich aber Lehrer, immer mit Schwerpunkt
Sport: Surfen, Skifahren und vor allem Fliegen.
Richtig angefangen hat's im Winter 72/73. Da flitzte Dieter
Strasilla mit einem Gleitsegel auf dem See vor Andreas Haustüre hin
und her. Andrea lief ständig hintendrein. Die beiden wurden Freunde.
Beim Ski- Schlepp passierte es, dass es ihn in die Luft hinauftrug.
Andrea fragte, was er jetzt machen müsse, um da wieder runterzukommen.
Später ging's absichtlich in die Luft. Sprünge von 40 oder 50 m,
über Hindernisse, Langlaufloipen zum Beispiel. Die Leute schrien,
sie dachten, da falle ein Ufo vom Himmel, bald segelte Andrea (flache
Hänge hinauf, dann steile Hänge runter, und ab in die Luft...
Andrea, Erreur de la Creation
SWISS GLIDER, Mars 1994, Numero spezial jubile
»Il est une erreur de la creation!" nous dit l`ancien pilote
Swissair, Markus Rizzi, inspecteur des ecoles FSVL. »C'est en
tant qu´oiseau qu'il aurait du venir au monde. Difficile de
comprendre pour quelle raison il est devenu un etre humain!»
Le pionnier du parapente, ANDREA KUHN de Sils Baselgia en Engadine
maitrise son metier. Voila 20 ans qu 'il fait en moyenne deux vols
par jour. En 1989, il est troisieme aux CS/Saleve. Un vol biplace
du Mount Mc Kinley et un vol triplace du Cho Oyo au Nepal representent
les moments forts de sa carriere de pilote. Son pere dirigeait une
entreprise de construction. Tout petit, Andrea se plaisait a bricoler
des objets en Sagex pour jouer dans le vent avec eux. Pour de tels
jeux, il n'y avait d'endroit plus ideal que Sils avec son vent du
Maloja. Deja grand-papa etait inspire par ce vent se laissant tirer
sur patins a glace, parapluie a la main, ou sur skis tenant une bache
de foin ouverte. Andrea, pour sa part, revait de voler. A la question,
que veux-tu devenir un jour, qui lui fut posee a l'ecole primaire,
Andrea repondit avec la plus grande assurance: "pilote de fusee!»
II n 'en arrivait pas la, mais devient finalement professeur avec
un penchant permanent pour le sport: surf, ski et surtout vol libre.
Le tout debuta en hiver 72/73. Devant la porte de sa maison,
Dieter Strasilla faisait des va-et-vient sur le lac gele avec une
curieuse voile. Andrea la suivait sans cesse; pour finir, ils lierent
amitie. Puis vint le jour ou il decolla alors qu 'il se faisait remorquer
skis aux pieds. "Comment faire pour redescendre?", demanda-t-il
a ce moment-la. Plus tard, il quitta le sol de plein gre faisant des
sauts de 40 ou 50 m pardessus toute sorte d 'obstacles. " Les
gens hurlaient pensant qu'un ovni tombait du ciel." Bientot,
il remonta des pentes a faible inclinaison puis descendit des versants
abruptes jusqu'a prendre reellement l'envol...